Neuregelung der Sterbehilfe

Schon bald Neuregelung der Sterbehilfe?

Nachdem das Bundesverfassungsgericht vor fast genau einem Jahr das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für nichtig erklärt hat, liegen nun die ersten Gesetzesentwürfe für eine Neuregelung der Sterbehilfe vor.

Das Urteil des BVerfG…

In einer aufsehenerregenden Entscheidung hatten die obersten deutschen Verfassungsrichter das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe nach § 217 StGB gekippt. Sie stellten fest, dass es für jeden Menschen ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben gebe und dass dieses Recht auch den Anspruch erfasse, mit Hilfe Dritter sterben zu dürfen. Das Recht zur Selbsttötung stehe sogar Personen zu, die nicht unheilbar krank sind. Diese Rechte dürften nicht unmöglich gemacht werden, indem Dritte (wie z.B. Sterbehilfeorganisationen) mit einem strafrechtlichen Verbot belegt würden.

…und seine Folgen

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts führte zu heftigen Diskussionen in breiten Teilen der Gesellschaft. Rechtlich gesehen steht nun zwar fest, dass Sterbehilfeorganisationen in Deutschland wieder tätig sein dürfen. Für Ärzte und Angehörige ist die Situation aber in vielen Fällen weiterhin unklar. Die Berufsordnungen der meisten Bundesländer verbieten es Ärzten z.B. weiterhin, Hilfe zum Suizid zu leisten. Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt – auf Anweisung des Bundesgesundheitsministeriums – bislang keine tödlichen Medikamente an schwerkranke bzw. unheilbare Patienten heraus, obwohl es dazu bereits 2017 rechtskräftig vom Bundesverwaltungsgericht verurteilt wurde.

Erste Gesetzesinitiativen gestartet

Mehrere Bundestagsabgeordnete haben nun wieder Bewegung in das Thema Sterbehilfe gebracht: Abgeordnete der Grünen um Renate Künast und Katja Keul veröffentlichten vor Kurzem den Entwurf eines „Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“. Fast zeitgleich legten die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Otto Frick (beide FDP), Karl Lauterbach, Swen Schulz (beide SPD) und Petra Sitte (Die Linke) den Entwurf eines „Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe“ vor. Nachfolgend stellen wir Ihnen die wesentlichen Eckpunkte der beiden Gesetzesentwürfe vor:

  1. Regelungsziele:
    • Die vorgeschlagenen Regelungen dienen dem Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben.
    • Sie sollen Rechtssicherheit für medizinisches Personal schaffen.
    • Zugleich soll die Suizidprävention verstärkt und die Kommerzialisierung von Sterbehilfe verhindert werden.
  2. Freier Wille:
    • Die Grundlage eines selbstbestimmten Sterbewunschs ist ein autonom gebildeter, freier Wille. Tödliche Medikamente werden erst dann verschrieben, wenn ein solcher Wille mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann.
    • Der Sterbewillige muss daher vorab einen Beratungs-, Belehrungs- und Informationsprozess durchlaufen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Betroffene eine informierte, dauerhafte Entscheidung trifft. Er soll sich der Konsequenzen und Tragweite seines Handelns bewusst sein und auch mögliche Alternativen überdenken können. Zwischen der Beratung und der Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments sind bestimmte Wartezeiten, Abfragen und Checks durch den behandelnden Arzt vorgesehen. Unter Umständen muss auch eine Begutachtung durch einen weiteren, unabhängigen Mediziner erfolgen.
  3. Minderjährige:
    • Der Gesetzesentwurf der Abgeordneten von FDP, SPD und Der Linken stellt fest, dass Minderjährige in der Regel die Bedeutung und Tragweite einer Suizidentscheidung noch nicht hinreichend erfassen können.
    • Auch nach dem Entwurf der Grünen-Abgeordneten sollen Minderjährige in der Regel die Volljährigkeit abwarten müssen. Wenn Kinder allerdings schwerwiegenden Leiden und besonderen Schmerzen ausgesetzt sind, soll es mit dem Einverständnis der Sorgeberechtigten ausnahmsweise möglich sein, die Einsichtsfähigkeit des Kindes gutachterlich untersuchen zu lassen.
  4. Zugang zu tödlichen Medikamenten:
    • Grundsätzlich muss sich der Sterbewillige tödlich wirkende Medikamente, wie z.B. Natrium-Pentobarbital, von einem Arzt verschreiben lassen.
    • Über die Anträge von Personen, die nicht unheilbar oder schwerkrank sind, soll dagegen nach dem Entwurf der Grünen-Abgeordneten eine Landesbehörde entscheiden.
  5. Hilfe durch Dritte:
    • Hilfe zum Sterben können neben ärztlichem Personal, Angehörigen und anderen Nahestehenden des Sterbewilligen auch sog. Sterbehilfeorganisationen leisten.
    • Auch künftig wird aber kein Arzt verpflichtet, gegen seinen Willen Suizidhilfe zu leisten.
  6. Sterbehilfeorganisationen:
    • Beide Gesetzesentwürfe enthalten Vorgaben, welche Voraussetzungen Sterbehilfeorganisationen zu erfüllen haben, damit aus der Hilfeleistung zum Sterben kein kommerzialisiertes Geschäft wird.
    • Der Grünen-Entwurf sieht in diesem Zusammenhang vor, dass es das Ziel der Anbieter sein müsse, den Betroffenen „selbstlos“ zu helfen. Unlautere Werbung für solche Sterbehilfeorganisationen soll verboten sein.
  7. Verbot der aktiven Sterbehilfe
    • Die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) bleibt weiterhin strafbar.
    • Das bedeutet, dass der Sterbewillige – wie auch schon bislang – den letzten entscheidenden Schritt immer selbst vollziehen muss (z.B. eigenhändige Einnahme der tödlichen Medikamente). Dritte dürfen nicht die Tatherrschaft über den letzten, todbringenden Akt haben (z.B. durch Spritzen von Gift, Abstellen von lebensnotwendigen Geräten auf Wunsch des Sterbewilligen).

Außerparlamentarischer Gesetzesentwurf

Daneben liegt auch noch ein dritter, außerparlamentarischer Gesetzentwurf vor. Professorinnen und Professoren aus Augsburg, München und Halle wollen das gesamte System der Sterbehilfe neu regeln (vgl. Augsburg-Münchner-Hallesche-Entwurf, „AMHE-SterbehilfeG“). Auf über 100 Seiten schlagen die Wissenschaftler umfassende Regelungen zu Suizid, Behandlungsverzicht/-begrenzung/-abbruch sowie zur indirekten und aktiven Sterbehilfe vor. Einige wichtige Auszüge:

  1. Die Mitwirkung an einem Suizid ist immer freiwillig. Niemand darf benachteiligt werden, weil er an einem Suizid mitgewirkt hat. Und niemand darf benachteiligt werden, wenn er nicht daran mitgewirkt hat.
  2. Minderjährige können nur dann den Freitod wählen, wenn sie schwer krank sind und die Eltern eingewilligt haben.
  3. Für die Zulassung und Kontrolle von Sterbehilfeorganisationen gibt es detaillierte Vorgaben.
  4. Die staatliche Suizidhilfe soll verbessert werden. Unter anderem soll ein Netz von Beratungsangeboten aufgebaut werden, die bundesweit 24 Stunden am Tag erreichbar sind.
  5. Tödliche Medikament können nur von Ärzten oder einer unabhängigen Kommission verschrieben werden.
  6. Die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) soll nicht mehr strafbar sein. In wenigen Ausnahmefällen soll Ärzten sogar die aktive Sterbehilfe erlaubt sein. Die aktive Sterbehilfe ist jedoch „ultima ratio“, auf Fälle schwersten Leidens beschränkt und nur dann straflos, wenn es für Menschen keinen anderen Ausweg gibt und sie ihr Leben nicht eigenhändig beenden können (z.B. weil sie am sog. Locked-In-Syndrom leiden).

Weiteres Verfahren

Die Bundesregierung hat sich zum Ob und Wie einer möglichen Neuregelung der Sterbehilfe noch nicht positioniert. Deshalb bleibt abzuwarten, ob ein entsprechendes Gesetz noch vor der nächsten Bundestagswahl zustande kommt. Neu zu regeln wäre im Übrigen auch das ärztliche Berufsrecht; hierfür sind jedoch die Länder zuständig.

 

von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.