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Geschäfte mit den eigenen Patienten – erlaubt oder verboten?

Das Verwaltungsgericht Berlin hat vor Kurzem einen Hausarzt freigesprochen, der von der Ärztekammer beschuldigt worden war, unerlaubte Vorteile von einer hochbetagten Patientin angenommen zu haben (VG Berlin Berufsgericht der Heilberufe, Urt. 30.04.2021, Az. 90 K 6.19 T). Die Richter entschieden, dass Ärzte in der Regel dann Geschäfte mit ihren Patienten machen dürfen, wenn sie dafür einen angemessenen und marktüblichen Preis zahlen.

 

Arzt kauft Haus seiner Patientin

Den Richter lag ein Fall vor, in dem eine 92-jährige Seniorenheimbewohnerin ihr stark renovierungsbedürftiges Wohnhaus in Berlin verkaufen wollte. Es gab vier Interessenten, von denen letztlich zwei in die engere Wahl kamen: Zum einen der Hausarzt der Seniorin, der diese bereits seit 16 Jahren ärztlich betreute und 250.000 € für das Grundstück bot. Zum anderen der Nachbar der Seniorin, der das Haus unbedingt zu Wohnzwecken für seine Mutter erwerben wollte. Der Nachbar bot zunächst 260.000 €, später sogar 300.000 €. Die Seniorin entschied sich trotzdem für das Angebot ihres Hausarztes.

Der Nachbar meldete den Vorfall daraufhin der Ärztekammer. Diese leitete ein berufsrechtliches Verfahren gegen den Arzt ein. Sie warf dem Mediziner vor, gegen die Berufsordnung der Ärztekammer Berlin verstoßen zu haben. Er habe das Haus nur aufgrund seiner langjährigen Vertrauensstellung gegenüber der Patientin erhalten. Das Geschäft sei als eine Vorteilsannahme und unerlaubte Zuwendung nach § 32 der Berufsordnung zu werten.

 

㤠32 Unerlaubte Zuwendungen

[…] Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung von Patientinnen und Patienten oder Anderen Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn nicht der Wert des Geschenkes oder des anderen Vorteils geringfügig ist […]“

 

Die Richter des Verwaltungsgerichts Berlin teilten diese Auffassung jedoch nicht und sprachen den Hausarzt vom Vorwurf der Vorteilsannahme frei. Sie stellten fest, dass Geschäfte zwischen Arzt und Patient nicht automatisch rechtsmissbräuchlich und verboten sind. Im vorliegenden Fall habe der Hausarzt seiner Patientin einen angemessenen, marktüblichen Preis für das Grundstück gezahlt. Die Tatsache, dass der Nachbar deutlich mehr Geld geboten habe, sei nicht maßgeblich. Auch die bloße Gelegenheit zum Abschluss des Grundstückskaufvertrags stelle an sich noch kein Geschenk oder anderen Vorteil dar. Zu guter Letzt verneinte das Gericht auch das Vorliegen einer sog. „Unrechtsvereinbarung“ zwischen dem Hausarzt und der Seniorin (also z.B. die Vereinbarung, dass der Hausarzt als Gegenleistung für den Grundstückskauf die Seniorin auch zukünftig behandeln würde).

 

Heikles Thema: Vorteilsannahme und Bestechlichkeit von Ärzten

Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin ist im konkreten Fall zuzustimmen. Es gibt keinen Grund, warum es Ärzten generell verboten sein sollte, mit ihren Patienten Geschäfte zu machen. Voraussetzung ist aber, dass das ärztliche Behandlungsverhältnis strikt von der wirtschaftlichen Geschäftsbeziehung getrennt wird und ein angemessenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht. Andernfalls gerät ein Arzt schnell in den Verdacht der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit – was unter Umständen erhebliche straf- und berufsrechtliche, aber auch gesellschaftliche Konsequenzen für den Arzt haben kann (z.B. öffentlichkeitswirksame Ermittlungsverfahren, straf- und berufsrechtliche Verurteilung, Ruhen/Entzug der Kassenzulassung, Verlust der Approbation usw.). Ein Schreckensszenario für jeden Mediziner.

 

Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit

Warum gelten für Ärzte aber eigentlich derart strenge Vorschriften? Der Gesetzgeber und die Landesärztekammern haben hier in den letzten Jahren viele Regelungen modifiziert und nachgeschärft. Sinn und Zweck der straf- und berufsrechtlichen Vorgaben ist es, die Integrität und Unabhängigkeit der Ärzteschaft zu schützen. Wenn ein Arzt zum Beispiel von einem Patienten, Pharmaunternehmen oder Medizinproduktehersteller Geschenke oder sonstige Vorteile annimmt, kann schnell der Eindruck entstehen, dass der Arzt seine Tätigkeit nicht mehr unabhängig, frei und ausschließlich unter medizinischen Aspekten ausübt, sondern sich von sachfremden, finanziellen Anreizen leiten lässt. Es kommt auch nicht darauf an, ob das konkrete Geschenk den Arzt tatsächlich in seiner Unabhängigkeit beeinflusst. Vielmehr genügt der bloße Eindruck, dass aus der Sicht eines objektiven Dritten hinreichend konkrete Zweifel an der Wahrung der Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung bestehen.

 

Prüfung des Einzelfalls erforderlich

Ob eine unerlaubte Zuwendung vorliegt oder nicht, kann letztlich immer nur durch eine sorgfältige Prüfung aller Umstände des Einzelfalls geklärt werden. Folgende Fragen und Kriterien dienen einer ersten groben Einschätzung; sie ersetzen aber keine detaillierte Untersuchung:

 

  • Besteht bei dem Geschäft zwischen Arzt und Patient ein angemessenes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung? Wenn ja, dann handelt es sich in der Regel um ein „neutrales“ Geschäft. Es hat keine finanziellen Vorteile für den Arzt und ist deshalb auch nicht verboten. Beispiel: Der Arzt erfährt durch Zufall von einem Patienten, dass dieser das Haus seiner verstorbenen Eltern verkaufen will. Der Arzt hat Interesse daran und bietet dem Patienten einen angemessenen Preis für das Haus.

 

  • Unzulässig wäre es dagegen, wenn der Arzt zwar einen angemessenen Preis bietet, er gleichzeitig aber seinen Patienten unter Druck setzt oder sogar mit dem Abbruch der ärztlichen Behandlung droht, falls es nicht zu dem gewünschten Geschäft kommen sollte.

 

  • Problematisch sind auch alle Geschäfte, die deutlich unter Marktwert abgewickelt werden. Hier liegt in der Regel eine sog. „gemischte Schenkung“ zu Gunsten des Arztes vor. Die Differenz zwischen Kaufpreis und dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert des Gegenstandes wird dem Arzt zugewandt. Dementsprechend handelt es sich regelmäßig um eine unerlaubte Zuwendung.

 

  • Auch bei Geldgeschenken von Patienten sollten Ärzte stets Vorsicht walten lassen. Selbst wenn es sich lediglich um kleinere Summen handelt oder „doch nur“ das Praxispersonal mit einer „kleinen Aufmerksamkeit“ bedacht werden soll, können dem Arzt hierdurch ernsthafte Probleme entstehen. Teilweise werden schon Beträge von 25-35 Euro als kritisch gewertet. Hier sollte ein Arzt auf jeden Fall klare, transparente Regelungen treffen und die Annahme von Geldgeschenken im Zweifel ablehnen bzw. untersagen.

 

  • Ähnliches gilt bei Sachgeschenken von Patienten (Flasche Wein, Pralinen, Blumen usw.). Sobald hier höhere Werte im Raum stehen, ist Zurückhaltung geboten – selbst wenn derartige Geschenke in vielen Praxen noch immer „gängige Praxis“ sind.

 

  • Unzulässig sind im Übrigen fast alle Geschenke und Vorteile, die Ärzte aus dem Bereich der Pharmaindustrie oder von sonstigen Gesundheitsdienstleistern erhalten. Hier liegt es auf der Hand, dass z.B. ein bestimmtes Verschreibungsverhalten gefördert werden soll. Die Unabhängigkeit der Ärzteschaft ist daher besonders gefährdet. Unzulässige Zuwendungen sind zum Beispiel: kostenlose oder vergünstigte Überlassung von Fachbüchern oder Medizinprodukten, Einladungen zu Konzerten und Sportveranstaltungen, Sponsoring luxuriöser Fortbildungsveranstaltungen, Zuwendungen an den Ehegatten, Geldgeschenke oder Luxusartikel, „Zuschüsse“ für das Praxisinventar oder die Praxismiete, verbilligte Dienstleistungen usw.

 

Insbesondere Zuwendungen aus dem Bereich des „Pharma-Marketings“ waren früher Gang und Gäbe und wurden von vielen Ärzten als „Selbstverständlichkeit“ gewertet und entgegengenommen. Erst in den letzten Jahren hat hier aufgrund der Verschärfung der straf- und berufsrechtlichen Sanktionen ein Bewusstseinswandel in der Ärzteschaft stattgefunden.

Unsere Kanzlei ist auf diesen Bereich der medizinrechtlichen Compliance spezialisiert. Sollten Sie daher als Arzt/Ärztin weiterführende Fragen zu diesem Themenbereich haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 

von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.