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Arzthaftung von Kinderärzten: Säugling mit Brechdurchfall

Kinderärzte haften, wenn sie einen länger an Brechdurchfall erkrankten Säugling nicht in ein Krankenhaus einweisen und die Angehörigen nicht hinreichend verständlich über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Krankenhauseinweisung aufklären. Dies hat jüngst das Oberlandesgericht Köln entschieden und eine Haftungsquote von 60% bzw. 40% für zwei betroffene Kinderärzte festgesetzt (OLG Köln, Urt. v. 17.02.2021, Az. 5 U 110/20).

Der Fall: Mehrere grobe Behandlungsfehler durch zwei Kinderärzte

Bei einem Säugling trat am Ostermontag (21.04.2003) starker Brechdurchfall auf. Seine Mutter suchte deswegen noch abends mit dem Kind eine Kinderklinik auf. Dort wurde der Säugling untersucht und ein Magen-Darm-Infekt diagnostiziert. Der Klinikarzt verordnete außerdem eine Elektrolytlösung sowie die Gabe von Tee. Er wies die Mutter an, erneut in die Klinik zu kommen, falls sich der Zustand des Kindes verschlechtern sollte.

Am Folgetag (22.04.2003) brachte die Mutter den noch immer kranken Säugling in die Praxis des Kinderarztes Dr. T. und berichtete von der Untersuchung in der Kinderklinik. Der Kinderarzt untersuchte das Kind erneut, verordnete zwei Medikamente und händigte der Mutter ein Merkblatt über Durchfallerkrankungen bei Säuglingen aus. Da sich der Zustand des Kindes nicht besserte, kam die Mutter zwei Tage später (24.04.2003) erneut mit ihrem Säugling und in Begleitung der Großmutter in die Kinderarztpraxis. Die Sprechstundenhilfe schickte die Frauen und das Kind jedoch einfach weg.

Die Mutter suchte daraufhin unmittelbar eine andere Kinderärztin auf. Diese untersuchte den Säugling und wog ihn auch. Die weiteren Einzelheiten dieses Arztbesuchs konnten im Nachhinein nicht mehr vollständig geklärt werden. Die Kinderärztin gab jedenfalls an, sie habe der Mutter eine Krankenhauseinweisung empfohlen. Sie habe auch erwähnt, „dass eine Verschiebung der Salze eintreten könne, die mit dem Leben nicht vereinbar“ sei. Die Großmutter habe daraufhin geantwortet, dass das Kind bei ihr gut trinken würde. Eine Krankenhauseinweisung sei mündlich abgelehnt worden.

Am Morgen des 25.03.2003 bekam der Säugling schließlich Fieber und blaue Lippen. Die Mutter soll deswegen zwei Mal mit der Kinderärztin telefoniert haben. Direkt danach brachte sie den Säugling in die Kinderklinik. In der Klinik stellten die Ärzte eine äußerst schwere Vergiftung (hypertone Dehydration/Toxikose) fest und behandelten das Kind auf der Intensivstation. Der Säugling überlebte, trug aber schwere Hirnschäden davon und leidet seitdem unter erheblichen geistigen und motorischen Störungen. Das Kind kann nicht selbständig laufen und weist allgemeine und sprachliche Entwicklungsdefizite auf.

Die Folgen: Hoher Schadensersatz und Schmerzensgeld für das Kind

Nach einem mehrjährigen Zivilprozess einigten sich die beiden betroffenen Kinderärzte und deren Haftpflichtversicherungen darauf, dem geschädigten Kind mehrere hunderttausend Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz zu zahlen. In dem nun vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen Verfahren ging es um die Frage, welcher Kinderarzt welche Haftungsquote zu tragen hat. Die Richter stellten hierzu fest, dass der Kinderarzt Dr. T. eine Haftungsquote von 60% (2 grobe Behandlungsfehler) und die Kinderärztin eine Haftungsquote von 40% (1 grober Behandlungsfehler) übernehmen müssen.

Arzthaftung bei Kinderärzten

Für niedergelassene Kinderärzte lässt sich aus diesem Fall folgendes zu ihrer Arzthaftung ableiten:

  1. Wenn Säuglinge unter anhaltendem Brechdurchfall leiden, muss dies bei Kinderärzten ein deutliches Warnsignal auslösen. Im vorliegenden Fall hätte der Kinderarzt Dr. T. den Säugling bereits beim ersten Praxisbesuch direkt in ein Krankenhaus einweisen müssen. Denn nur dort hätte das Kind adäquat überwacht und eine hypertone Dehydration ausgeschlossen bzw. vermieden werden können. Es reicht also nicht aus, das Kind in einem solchen Fall lediglich zu untersuchen, Medikamente zu verordnen und den Angehörigen ein Merkblatt über Durchfallerkrankungen von Säuglingen auszuhändigen, damit sie sich entsprechendes Wissen selbst „anlesen“.
  2. Anhaltender Brechdurchfall bei Säuglingen muss aber auch bei den Sprechstundenhilfen eines Kinderarztes die Alarmglocken läuten lassen. Diese Patienten haben absolute Priorität, dürfen keinesfalls abgewiesen werden und müssen dem Arzt zügig vorgestellt werden. Ein Kinderarzt, der sein Personal für solche Fälle nicht entsprechend sensibilisiert und angewiesen hat, begeht einen groben Organisations- und Behandlungsfehler.
  3. Ein Kinderarzt muss den Patienten bzw. dessen Angehörige in verständlicher Weise über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Krankenhauseinweisung aufklären. Er hat die Pflicht, in klarer und eindeutiger Sprache darauf hinweisen, welche konkreten Gefahren bestehen, wenn ein Kind entgegen ärztlicher Empfehlung nicht ins Krankenhaus gebracht wird (z.B. deutlicher Hinweis auf „schwerwiegende Gesundheitsschäden“, „Todesgefahr“ o.ä.). Der Arzt muss dabei auch berücksichtigen, dass sich Patienten und deren Angehörige oft in einer stressigen, belastenden persönlichen Situation befinden. In einem solchen Zustand können ärztliche Hinweise leicht überhört oder in ihrer objektiven Bedeutung nicht richtig erfasst werden.

Gericht kritisiert „unverständliche Fachsprache“

Das Oberlandesgericht Köln äußert sich im vorliegenden Fall sehr kritisch dazu, dass Ärzte oftmals nicht auf ihre Gesprächspartner eingestellt seien und eine unverständliche Fachsprache benutzen würden. Solche „lehrbuchhaften Formulierungen“ könnten Menschen, die keine medizinischen bzw. naturwissenschaftlichen Kenntnisse haben, oft nicht verstehen und auch nicht richtig einordnen. Auf diesen Punkt sollten Mediziner also zukünftig ein besonderes Augenmerk legen, wenn sie keine Haftungsrisiken eingehen wollen.

Ein Gerichtsgutachter merkte im vorliegenden Fall außerdem an, dass die unzureichende medizinische Versorgung eines Säuglings mit Brechdurchfall in Mitteleuropa mittlerweile eigentliche eine „Rarität“ geworden sei. Im vorliegenden Fall sei es letztlich nur aufgrund einer unglücklichen Verkettung ärztlicher Fehler zu diesen schlimmen Folgen gekommen. – Eine Feststellung, die nach unserer Erfahrung leider in vielen Arzthaftungsfällen zutrifft. Umso wichtiger ist es für die betroffenen Patienten und deren Angehörige, sich für ein späteres Regressverfahren professionelle anwaltliche Unterstützung zu suchen.

Wenn Sie Fragen zu dem konkreten Fall haben oder selbst von einem Behandlungsfehler betroffen sein sollten, steht Ihnen unsere Kanzlei gerne mit Rat und Tat zur Seite.

 

von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.