Globulis beim Heilpraktiker

Behandlungsfehler: Heilpraktikerin haftet nach Tod einer Krebspatientin

In einem Grundsatzurteil hat das Oberlandesgericht München eine Heilpraktikerin dazu verurteilt, nach dem Tod einer Krebspatientin 30.000 € Schmerzensgeld an den hinterbliebenen Sohn zu zahlen. Außerdem muss die Heilpraktikerin 7.100 € Schadensersatz für entgangenen Kindesunterhalt zahlen (OLG München, Urt. v. 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18).

Anfang 2015 war bei der damals schwangeren Patientin ein Gebärmutterhalstumor festgestellt worden. Der Tumor wurde entfernt, und im April brachte sie ihren Sohn zur Welt. Da die Krebserkrankung jedoch fortbestand, begann die Frau auf Anraten der Ärzte eine Strahlen- und Chemotherapie. Die Therapie schlug auch an, der Tumor bildete sich zurück. Die Heilungschancen waren gut.

 

Schlangengift statt Strahlentherapie

Trotzdem brach die Frau im Juni 2015 sämtliche Therapien ab und vertraute stattdessen u.a. auf Präparate aus Schlangengift, die sie von ihrer Heilpraktikerin erhielt. Wenige Monate später verstarb die Frau im Alter von 27 Jahren. Der Sohn der Verstorbenen verlangte daraufhin 170.000 € Schadensersatz von der Heilpraktikerin. Das Landgericht Passau wies die Klage jedoch ab, der Fall ging in die nächste Instanz.

 

Behandlungsfehler: Heilpraktikerin hätte zu Wiederaufnahme der Strahlentherapie raten müssen

Das Oberlandesgericht München gab dem Sohn nun dem Grunde nach Recht: Die Heilpraktikerin habe der Mutter zwar nicht aktiv zum Abbruch der lebensrettenden Strahlentherapie geraten. Auch treffe die Verstorbene eine Mitschuld, weil sie sich freiwillig für den Therapieabbruch entschieden hätte. Die Frau habe sich aber „in größter Not“ der Heilpraktikerin anvertraut und sich auf deren überlegenes Fachwissen verlassen. Es wäre Aufgabe der Heilpraktikerin gewesen, die Patientin zur Wiederaufnahme der lebensrettenden Strahlentherapie zu raten. Das Verhalten der Heilpraktikerin sei „unverantwortlich“ und „unverständlich“ gewesen, so die Richter.

Das Oberlandesgericht München stützt sich in seinem Urteil auf das Patientenrechtegesetz. Dieses gelte auch für Heilpraktiker. Danach müsse ein Heilpraktiker seinen Patienten darauf hinweisen, dass eine alternative Behandlungsmethode (hier: die Schlangengift-Therapie) kein adäquater Ersatz für die Schulmedizin (hier: die Strahlentherapie) sei. Wenn der Patient erkennbar an der Sinnhaftigkeit der schulmedizinischen Behandlung zweifele, müsse der Heilpraktiker dem aktiv entgegentreten und den Patienten nicht noch weiter darin bestärken, von der ärztlich gebotenen Therapie abzulassen. Andernfalls begehe der Heilpraktiker einen Behandlungsfehler.

 

Keine strafrechtlichen Konsequenzen

Gegen die Heilpraktikerin wurde auch wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Passau stellte das Verfahren jedoch ein. Die Verletzung von Aufklärungspflichten sei nicht nachweisbar gewesen. Die Heilpraktikerin wird somit nur zivilrechtlich, nicht aber strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen.

 

Heilpraktiker-Beruf auf dem Prüfstand

Fälle wie der vorliegende beschäftigen die deutsche Justiz nicht zum ersten Mal:

  • Bereits 2008 hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg festgestellt, dass ein Heilpraktiker bei einer Krebspatientin auf die nötige ärztliche Behandlung hinweisen und die weitere Behandlung ohne ärztliche Diagnostik unter Umständen sogar ablehnen muss. Ein Heilpraktiker dürfe keinesfalls dazu beitragen, notwendige schulmedizinische Behandlungen zu verhindern oder auch nur zu verzögern (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 02.10.2008, Az.: 9 S 1782/08).
  • 2019 verurteilte das Landgericht Krefeld einen Heilpraktiker wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung (LG Krefeld, Urt. v. 15.07.2019, Az. 22 KLs 14/18). Der Heilpraktiker hatte durch die Überdosis eines arzneimittelrechtlich nicht zugelassenen Zellgift-Präparats den Tod von drei Krebspatienten verursacht.
  • Das Landgericht Nürnberg-Fürth verhängte 2019 eine vierjährige Freiheitsstrafe gegen einen Heilpraktiker, der in großem Stil nicht zugelassene Medikamente als „Produktwunder“ gegen Krebs und Autismus verkauft und damit einen Gewinn von über 4,5 Millionen Euro erzielt hatte.
  • Ebenfalls in 2019 verurteilte das Amtsgericht Erkelenz einen Heilpraktiker wegen versuchter sexueller Nötigung zu einem Jahr und zehn Monaten Haft auf Bewährung. Der Heilpraktiker hatte einer Patientin unter Hypnose einreden wollen, sie seien weltbekannte Pornostars und müssten für einen neuen Film üben.

Das Thema „Heilpraktiker“ hat mittlerweile auch die Politik erreicht: Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, das Betätigungsfeld von Heilpraktikern auf den Prüfstand zu stellen. Als Grund dafür wird die Patientensicherheit genannt.

Ungeachtet aller Kritik und Zwischenfälle erleben Heilpraktiker aktuell aber geradezu einen Boom: Alleine in Bayern, dem einzigen Bundesland, in dem die Gesundheitsbehörden Statistiken in diesem Bereich führen, hat sich die Zahl der gemeldeten Heilpraktiker in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdoppelt, auf deutlich über 23.000. Damit gibt es in Bayern mittlerweile mehr als doppelt so viele Heilpraktiker wie Hausärzte. Auch diese Entwicklung dürfte das Spannungsfeld zwischen traditioneller Schulmedizin und alternativen Behandlungsmethoden weiter verschärfen.

Sollten Sie weitergehende Fragen oder einen konkreten Fall zum Heilpraktiker-Recht haben, steht Ihnen die Kanzlei Dr. Schuld gerne zur Verfügung.

 

von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld. LL.M.