Arztpraxis & Energienotstand: Müssen Ärzte und Patienten im Winter frieren?

Die aktuelle Energiekrise scheint sich immer weiter zu verschärfen: Nicht nur Strom wird immer teurer, auch Erdgas ist mittlerweile ein knappes Gut. Die Situation im kommenden Herbst und Winter ist ungewisser denn je, ein Energienotstand zeichnet sich ab, Gas könnte rationiert werden. Was aber bedeutet dies für Arztpraxen, die an eine Gas-Zentralheizung angeschlossen sind?

Artpraxen werden bei Gasversorgung bevorzugt

Zunächst die erfreuliche Botschaft: Arztpraxen werden bei der Verteilung knapper Erdgasmengen bevorzugt behandelt und genießen insoweit denselben Status wie etwa Krankenhäuser. Dies ist gesetzlich sichergestellt. Aber: Welche Wirkungen hat dies in der Praxis?

Vermieter kündigen reduzierte Heizungsleistung an

Konkret stellt sich nämlich die Frage, ob ein Vermieter der Praxisräume in der kalten Jahreszeit die Leistung der zentralen Heizanlage von sich aus reduzieren darf, obwohl ausreichend Gas bei ihm ankommt. Die Frage hat durchaus ihre Berechtigung: Für den Bereich der Wohnungswirtschaft haben mehrere Vermietergesellschaften dies nämlich bereits in Aussicht gestellt. So hat Deutschlands größter Wohnungsvermieter unlängst für seine mit Gas-Zentralheizung ausgestatteten Wohnungen angekündigt, die Heizleistung nachts auf 17 Grad zu reduzieren. Und eine ostdeutsche Wohnungsgenossenschaft hat bereits zum 1. Juli die Verfügbarkeit von Warmwasser für seine Wohnungen zu bestimmten Tageszeiten und nachts begrenzt. Begründet wird dies mit dem Schutz der eigenen Mieter vor stark steigenden Nebenkosten. Mieterschutzvereine haben dieses Vorgehen bereits kritisiert.

Wie ist die Rechtslage?

Für vermiete Wohnungen gilt: Tagsüber muss der Vermieter eine Temperatur von mindestens 20 Grad vorhalten, nachts ist eine Absenkung auf 18 Grad noch erlaubt. Abweichende Mietvertragsklauseln sind unwirksam. Allerdings: Arztpraxen sind keine Wohnungen, vielmehr liegt ihnen in der Regel ein Gewerberaummietvertrag zugrunde. Die meisten dieser Mietverträge sehen indes keine Klausel zur Mindesttemperatur von Heizung und Warmwasser vor. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Vermieter von Praxisräumen größere Freiheiten im Hinblick auf die Absenkung der Heizleistung haben, als dies bei Wohnungen der Fall ist.

Arztpraxen: Vermieter muss „gesundheitlich zuträgliche“ Temperatur ermöglichen

Wurden Räum zur Nutzung als Arztpraxis vermietet, hat der Vermieter es grundsätzlich zu ermöglichen, dass dieser Zweck durch den Mieter – in der Regel ein Arzt oder eine ärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) – auch erreicht werden kann. Mit Blick auf die Temperatur einer Arztpraxis ist hierbei die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) zu beachten: Nach deren Ziff. 3.5 müssen die Praxisräume – abgesehen von spezifischen Räumen wie etwa Kältekammern – grundsätzlich eine gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur aufweisen.

Konkretisiert wird dies durch sog. „Technische Regeln für Arbeitsstätten Raumtemperatur (ASR A3.5)“. Demnach beträgt die in der Praxis zu garantierende Mindesttemperatur während der gesamten Arbeitszeit in der Regel zwischen 19 und 21 Grad, und zwar abhängig von der Schwere der Arbeit und dem Umstand, ob überwiegend im Sitzen oder im Stehen gearbeitet wird. Zwar ist der Vermieter der Praxisräume nicht unmittelbarer Adressat dieser gesetzlichen Vorgaben, sondern der Mieter als Arbeitgeber des Praxispersonals. Der Vermieter ist jedoch insoweit mittelbar verpflichtet, als er aufgrund seiner mietvertraglichen Treuepflichten grundsätzlich nichts unternehmen darf, was die Ausübung des mietvertraglich definierten Zwecks – also: Betrieb einer Praxis – vereitelt. Mit anderen Worten: Eine Absenkung der Heizleistung während der gewöhnlichen Praxiszeiten auf unter 19 Grad durch den Vermieter wäre rechtswidrig.

Praxistipp: Klare Sprache im Mietvertrag verwenden

Dreht der Vermieter die Heizung einer Arztpraxis auf ein unzulässiges Niveau ab, kann der Mieter (Arzt, BAG) die Miete angemessen mindern, Schadensersatz verlangen und äußerstenfalls sogar kündigen. Soweit die Theorie. Aber: Landet der Fall dann vor Gericht, schließt sich in der Regel ein langwieriger Prozess an, in dem der Mieter erheblichen und oft nicht zu erfüllenden Nachweispflichten unterliegt, beispielsweise im Hinblick auf die Frage der tatsächlich vorherrschenden Temperaturen oder das Personal der Praxis überwiegend im Stehen oder im Sitzen arbeitet. Um derartige Konfliktsituationen von vornherein zu verhindern, sind entsprechende klarstellende Regelungen im Mitvertrag dringend anzuraten. So lässt sich beispielsweise in einer für den Vermieter bindenden Weise festlegen, zu welchen Zeiten welche Mindesttemperaturen zu gewährleisten sind. Außerdem lassen sich zum Thema „Mindesttemperatur“ praxisspezifische Besonderheiten oder bestimmte Interessen des Praxisinhabers transparenter und vor allem rechtsverbindlich abbilden.

Noch Fragen?

Unsere Kanzlei berät Arztpraxen in ganz Deutschland, und zwar nicht nur auf dem Gebiet des Medizinrechts, sondern auch im Bereich des ärztlichen Mietrechts. Falls Sie hierzu Fragen haben, stehen wir Ihnen jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Seite!

 

von Rechtsanwalt Dr. Jan Schuld LL.M.