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„Long-Covid“-Folgen für die Chefarztvergütung?

Die Corona-Pandemie hat in deutschen Krankenhäusern vieles auf den Kopf gestellt. Nie zuvor wurde so viel über die tägliche Belegungsquote von Intensivstationen berichtet wie in den letzten Monaten. Auch die gestiegene Arbeitsbelastung des ärztlichen und pflegerischen Personals steht immer wieder im Mittelpunkt der Diskussionen.

Kaum Beachtung finden dagegen die mit der Corona-Pandemie einhergehenden strukturellen Änderungen im Krankenhausalltag. Seit letztem Jahr mussten Krankenhäuser ganze Abteilungen und Abläufe innerhalb kürzester Zeit völlig umorganisieren, um ihrem Versorgungsauftrag überhaupt noch gerecht werden zu können. Dies hat – insbesondere für die von diesen Maßnahmen betroffenen Krankenhaus(chef)ärzte – vielfältige Konsequenzen. Gerade in der letzten Zeit wird unsere Kanzlei in diesem Zusammenhang immer wieder auf ein Spezialthema angesprochen: Es geht um die Frage, welche Folgen die Coronapandemie für die (Chef-)Arztvergütung hat.

Hierzu im Folgenden ein kurzer Überblick über die aktuelle Sach- und Rechtslage:

 

Vergütungsstruktur bei Krankenhausärzten

Chefärzte erhalten für ihre Tätigkeit von den Krankenhäusern eine bestimmte Festvergütung. Daneben wird ihnen eine variable Vergütung gezahlt. Diese setzt sich im Wesentlichen aus zwei Komponenten zusammen:

  1. Einnahmen aus wahlärztlichen und ambulanten Zusatzleistungen sowie
  2. spezielle Bonuszahlungen.

Chefärzte erzielen mit den Zusatzleistungen und Bonuszahlungen oftmals ganz erhebliche Zusatzeinnahmen. Diese können je nach Fachrichtung durchaus bis zu 40% der Gesamtvergütung eines Chefarztes ausmachen. Doch auch andere Krankenhaus-Mitarbeiter (insbesondere die dem Chefarzt nachgeordneten Oberärzte) profitieren von den Zusatzeinnahmen der Chefärzte, denn sie werden regelmäßig an deren Einnahmen beteiligt (sog. Poolbeteiligung).

 

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Vergütungseinbußen durch Corona

Während der Corona-Pandemie müssen viele Krankenhäuser ihre Betten aber für Corona-Patienten vorhalten und planbare, nicht zwingend erforderliche Aufnahmen, OPs und Eingriffe verschieben. Hintergrund sind die staatlich angeordneten Reservierungs- und Freihaltequoten. Vor allem im letzten Jahr ging die Zahl der operativen Eingriffe an Krankenhäusern deshalb stark zurück. Insbesondere Hüft- und Knie-OPs wurden ausgesetzt oder sogar ganz gestrichen. Derartige Rückgänge führen nicht nur zu erheblichen Einnahmeverlusten bei den Krankenhäusern, sondern auch zu Vergütungseinbußen bei den Chefärzten und nachgeordneten Ärzten.

Während die meisten Krankenhäuser für ihre Einnahmeausfälle staatliche Ausgleichszahlungen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds erhalten (vgl. § 21 Krankenhausfinanzierungsgesetz), gibt es für die Krankenhausärzte keine vergleichbaren Regelungen.

Es stellt sich deshalb die Frage, ob und welche Ausgleichsansprüche Chefärzte und nachgeordnete Ärzte geltend machen können, wenn ihre variable Vergütung aufgrund der Corona-Pandemie sinkt. Hierbei muss wie folgt differenziert werden:

 

1. Chefärzte mit Liquidationsbeteiligung

Neuere Chefarztverträge sehen oftmals eine sog. „Liquidationsbeteiligung“ – auch Beteiligungsvergütung genannt – vor. Bei diesem Modell rechnet das Krankhaus selbst die zusätzlichen Leistungen gegenüber dem Patienten ab und beteiligt den Chefarzt im Nachgang zu einem bestimmten Prozentsatz an den Liquidationserlösen.

Wenn nun ein Chefarzt während der Corona-Pandemie z.B. für wahlärztliche Leistungen zur Verfügung steht, das Krankenhaus diese Leistungen aber nicht annimmt bzw. abruft, weil es keine geplanten OPs etc. durchführen darf, könnte man an einen (verschuldensunabhängigen) Anspruch des Chefarztes auf Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB denken. Ob ein Chefarzt einen solchen Anspruch allerdings erfolgreich geltend machen kann, wird von Arbeitsrechtlern derzeit höchst unterschiedlich beurteilt. Ein eindeutiges Meinungsbild hat sich hierzu noch nicht herausgebildet. Da die Gerichte einen solchen Fall ebenfalls noch nicht zu entscheiden hatten, ist die Rechtslage insoweit unsicher.

In Betracht käme noch ein Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB. Hier besteht allerdings das Problem, dass § 280 BGB immer ein Verschulden beim Anspruchsgegner (hier: dem Krankenhaus) voraussetzt. Schuldhaftes Handeln kann man einem Krankenhaus aber nicht vorwerfen, wenn es lediglich staatlich angeordnete Reservierungs- und Freihaltequoten umsetzt und dadurch nicht so viele Patienten behandeln darf wie sonst üblich.

Schließlich könnte noch eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB geprüft werden. Allerdings greift § 313 BGB nur in Extremsituationen, wenn den Parteien ein Festhalten an den bisherigen Regelungen schlichtweg nicht mehr zumutbar ist. Diese Hürden sind sehr hoch.

Anders sieht es möglicherweise aus, wenn das Krankenhaus dem Chefarzt eine Garantie im Hinblick auf seine variable Vergütung erteilt hat. In gut ausgehandelten Chefarztverträgen finden sich derartige Zusicherungen für den Chefarzt. Diese Garantien kommen in der aktuellen Situation zum Tragen und bilden dann die Rechtsgrundlage für entsprechende Ausgleichszahlungen.

Auch aus den sog. Entwicklungsklauseln lassen sich unter Umständen Zahlungsansprüche des Chefarztes gegen das Krankenhaus ableiten. Entwicklungsklauseln sind üblicher Bestandteil eines jeden Chefarztvertrags. Sie regeln, dass ein Krankenhaus unter bestimmten Voraussetzungen auch größere strukturelle Veränderungen in der Ab­tei­lung eines Chef­arz­tes vornehmen darf (z.B. Aufspaltung der Abteilung, Änderung des Versorgungsumfangs, der Bettenzahl usw.). Sie legen auch fest, ob bzw. inwieweit dem Chefarzt Entschädigungsansprüche zustehen, wenn die Veränderungen dazu führen, dass die Chefarzt-Vergütung um einen bestimmten Prozentsatz zurückgeht. Über Entwicklungsklauseln lassen sich also unter Umständen Einnahmeverluste des Chefarztes ausgleichen bzw. verringern.

 

2. Chefärzte mit Liquidationsrecht

Ältere Chefarztverträge beinhalten üblicherweise ein sog. „Liquidationsrecht“. Das Krankenhaus räumt dem Chefarzt hier das Recht ein, seine Leistungen selbst und unmittelbar gegenüber dem Patienten abzurechnen.

Das Bundesarbeitsgericht sieht im Liquidationsrecht des Chefarztes lediglich eine Erwerbschance, auf die § 615 BGB – also der verschuldensunabhängige Anspruch auf Annahmeverzugslohn – keine Anwendung findet. Auch ein Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB wird – wie oben bereits gesehen – mangels Verschuldens regelmäßig nicht bestehen. Diskutiert wird allerdings, ob der Chefarzt zumindest einen Ersatzanspruch nach § 285 BGB hat und – zumindest indirekt – an den staatlichen Ausgleichzahlungen nach § 21 Krankenhausfinanzierungsgesetz partizipiert. Auch dieser Punkt ist aber noch offen und mit vielen Fragezeichen versehen.

 

3. Chefärzte mit Zielvereinbarung/Bonusvergütung

Die oben angesprochenen Problemstellungen ergeben sich auch bei Zielvereinbarungen zwischen Chefarzt und Krankenhaus. Aufgrund der Corona-Pandemie können einige Chefärzte die vereinbarten Ziele nicht mehr oder nur verspätet erreichen (z.B. verzögern sich Zertifizierungen, Weiterbildungen oder sonstige qualitative Verbesserungen). Diese überwiegend unverschuldeten „Zielverfehlungen“ haben unter Umständen erhebliche Auswirkungen auf die Höhe von Bonuszahlungen. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob ein Chefarzt tatsächlich Kürzungen hinzunehmen hat. Da aktuell nicht abzusehen ist, wie lange die Corona-Situation noch anhält, wird in vielen Fällen eine Anpassung der Zielvereinbarung unausweichlich sein. Die Parteien sollten hierbei vor allem darauf achten, Corona-bedingte Auslegungsschwierigkeiten zu beseitigen und entsprechende Konflikte rechtzeitig zu entschärfen.

 

4. Poolverträge

Wenn die Zusatzeinnahmen von Krankenhäusern bzw. Chefärzten zurückgehen, reduziert sich automatisch auch die Poolbeteiligung der nachgeordneten Ärzte. Da je nach Bundesland und Krankenhaus ganz unterschiedliche Regelungen für die Poolbeteiligungen gelten, lässt sich an dieser Stelle keine allgemeingültige rechtliche Aussage über die Folge von Einnahmeverlusten treffen. Hier muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob und inwieweit Ausgleichsansprüche bestehen.

 

Fazit

Die Corona-Pandemie hat weitreichende und langanhaltende Folgen auf die Vergütungsstruktur bei Chefärzten und nachgeordneten Ärzten. Aufgrund staatlicher angeordneter Reservierungs- und Freihaltequoten fallen viele Eingriffe und OPs aus bzw. müssen verschoben werden. Dies führt bei den Krankenhausärzten teilweise zu erheblichen Einnahmerückgängen. Ob die betroffenen Ärzte Ausgleichsansprüche geltend machen können, ist derzeit höchst umstritten und kommt auf die individuellen Gegebenheiten des Einzelfalls an. Bessere Chancen bestehen, wenn ein Chefarzt vorab explizite Vergütungsgarantien oder Ausgleichsklauseln mit dem Krankenhaus vereinbart hat. Hoher Anpassungsbedarf besteht aber nicht nur bei den Chefarztverträgen, sondern auch bei den Poolbeteiligungen nachgeordneter Ärzte.

Wenn Sie als Chef- oder Oberarzt von Corona-bedingten Vergütungseinbußen betroffen sind, steht Ihnen unsere Kanzlei gerne als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Wir überprüfen für Sie, ob Kürzungen rechtmäßig sind und inwiefern Ausgleichsansprüche bestehen könnten. Selbstverständlich vertreten wir Sie auch bei anstehenden Vertragsverhandlungen mit dem Krankenhausträger.

 

von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.