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Diagnose ja oder nein? – Streit um Maskenpflicht-Atteste

Derzeit gilt in vielen Bereichen eine strenge Maskenpflicht. Ausgenommen hiervon sind regelmäßig Personen, die wegen einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasen-Schutz tragen können. In diesen Fällen müssen die Betroffenen ein ärztliches Attest vorlegen können, wonach ihnen das Tragen einer Maske aus medizinischen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

Streitfrage: Diagnosevermerk erforderlich?

In letzter Zeit werden solche Atteste jedoch oft nur dann akzeptiert, wenn sie auch die konkrete Diagnose oder weitere sensible Gesundheitsdaten des Betroffenen beinhalten. Diese Anforderungen sind rechtlich äußerst kritisch zu bewerten. Auch vor deutschen Gerichten gehen die Auffassungen hierzu weit auseinander:

  • Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass es nicht ausreicht, wenn in einem ärztlichen Attest lediglich pauschal von der Maskenpflicht befreit wird. Vielmehr sei es erforderlich, dass das Attest auch nachvollziehbare Angaben zur konkreten Diagnose und zu konkreten Befundtatsachen mache (BayVGH, Beschl. v. 26.10.2020, Az. 20 CE 20.2185).
  • Ähnliche urteilte das Oberlandesgericht Dresden: Aus dem Attest müsse sich nachvollziehbar ergeben, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Trageflicht zu erwarten sind und woraus diese im Einzelnen resultieren. Relevante Vorerkrankungen seien konkret zu bezeichnen. Zudem müsse erkennbar werden, auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei (OLG Dresden, Beschl. v. 06.01.2021, Az. 6 W 939/20).
  • Eine völlig andere Auffassung vertritt dagegen das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Hier entschieden die Richter, dass die ärztliche Bescheinigung gerade keine konkrete Diagnose oder Angaben enthalten muss, inwieweit sich aus der gesundheitlichen Beeinträchtigung eine Befreiung von der Maskenpflicht ergibt. Es handele sich um Gesundheitsdaten, die besonders sensibel seien und daher besonders geschützt werden müssten. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass derartige Informationen z.B. durch Mund-Propaganda schnell die Runde machten (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.01.2021, Az. 11 S 132/20).

Gefahr von „Gefälligkeitsattesten“…

Das nordrhein-westfälische Justizministerium hat im Streit um die Frage, ob in ärztlichen Attesten zur Maskenbefreiung auch die Diagnose vermerkt sein müsse, bereits Stellung bezogen. „Es gibt keine Rechtsgrundlage, mit der Behörden eine Diagnose im Attest fordern können“, so der stellvertretende Ministeriumssprecher Dirk Reuter am 31.12.2020 gegenüber dem Westfalen-Blatt. Auch in Rheinland-Pfalz wurden die Anforderungen für Atteste im schulischen Bereich angepasst, nachdem der Landesdatenschutzbeauftragte eine „Warnung“ gegenüber der Schulaufsichtsbehörde ausgesprochen hatte.

Die Befürworter qualifizierter Atteste führen dagegen immer wieder an, ein Diagnosevermerk sei nötig, um Gefälligkeitsatteste zu verhindern. Nur durch genaue medizinische Angaben könne sichergestellt werden, dass die ärztliche Bescheinigung tatsächlich individuell und nicht bloß auf Vorrat oder aus reiner Gefälligkeit ausgefertigt worden sei. Es drohe die Gefahr, dass andernfalls die Maskenpflicht und damit letztlich der Infektionsschutz unterlaufen werde.

…oder ungerechtfertigter Grundrechtseingriff?

Nicht berücksichtigt wird dabei allerdings, dass der Gesetzgeber Gesundheitsdaten (wie Diagnosen, Befundtatsachen etc.) ganz bewusst unter einen besonders hohen Schutz stellt. Es handelt sich um äußerst sensible Informationen, die die Betroffenen oft aus gutem Grund nicht gegenüber bestimmten Dritten – und schon gar nicht in der Öffentlichkeit – preisgeben möchten. Die Übermittlung, Verarbeitung und Offenlegung solcher Daten – wie es z.B. in den qualifizierten Maskenpflicht-Attesten geschieht – stellen einen gravierenden Grundrechtseingriff dar. Dieser bedarf einer rechtlichen Legitimation in Form einer gesetzlichen Grundlage. Es bestehen deshalb erhebliche Zweifel, ob die aktuellen Landesverordnungen überhaupt eine tragfähige Rechtsgrundlage für das Einfordern solch qualifizierter Atteste darstellen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Betroffenen in der aktuellen Situation de facto gezwungen sind, ihre Krankheiten und Leiden gegenüber zahlreichen Personen und Stellen zu offenbaren, die keinerlei Geheimhaltungspflichten unterliegen. Eine solche Situation ist ohne eine hinreichende gesetzliche Grundlage schlichtweg rechtswidrig.

Problematisch ist auch, dass mit dem Einfordern qualifizierter Atteste die Aussagekraft allgemeiner ärztlicher Bescheinigungen ganz grundsätzlich in Frage gestellt wird. Dies ist neu und müsste – konsequent weitergedacht – dann eigentlich auch für andere, nicht weniger wichtige Atteste gelten (z.B. die „AU-Bescheinigung“ im Krankheitsfall). Denn warum darf ein Arbeitnehmer seine Erkrankungen als „reine Privatsache“ behandeln, während ein von der Maskenpflicht befreiter Patient gegenüber allen möglichen Stellen seine Leiden und Gebrechen offenbaren muss? Ärzten ist das Ausfertigen von Gefälligkeits- oder Blankoattesten nach berufs- und strafrechtlichen Vorschriften strengstens untersagt. Das teilweise bestehende Misstrauen, Ärzte würden in der Corona-Pandemie (anscheinend regelmäßig?) Gefälligkeitsbescheinigungen erteilen, um den Infektionsschutz auszuhebeln, ist durch nichts gerechtfertigt.

Praxistipps für betroffene Patienten

  • Betroffene, denen aus gesundheitlichen Gründen das Tragen einer Maske nicht möglich oder nicht zumutbar ist, sollten im Einzelfall genau prüfen, welche Anforderungen die jeweils geltende Landesverordnung an Maskenpflicht-Atteste stellt. Nicht selten ergeben sich hier – je nach betroffenem Lebensbereich – größere Unterschiede (z.B. gelten für den Aufenthalt in Schulen, Universitäten oder dem ÖPNV andere Vorgaben). Hierauf sind die Behörden im Streitfall – ggf. auch mit anwaltlicher Unterstützung – entsprechend hinzuweisen.
  • Selbst wenn eine Befreiung von der Maskenpflicht vorliegt, entstehen jedoch im privaten Bereich immer wieder Schwierigkeiten. Kein Geschäftsinhaber muss es beispielsweise dulden, dass sein Geschäft ohne Maske betreten wird – und zwar selbst dann nicht, wenn ein Kunde ein entsprechendes Attest vorlegen kann. Nicht selten kommt es vor, dass Geschäftsinhaber und Mitarbeiter die Maskenkontrolle sehr ernst nehmen, da sie die Einhaltung der Maskenpflicht sicherstellen müssen und andernfalls eine Ordnungswidrigkeit begehen.

Praxistipps für Ärzte

  • Ärzte dürfen ihren Patienten selbstverständlich nur dann ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht ausstellen, wenn dies medizinisch indiziert ist. Der behandelnde Haus- oder Facharzt muss anhand seiner eigenen medizinischen Dokumentation bescheinigen können, dass bei dem Patienten tatsächlich eine entsprechende gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt, die die Befreiung rechtfertigt.
  • Die Ausstellung von Blanko- oder Gefälligkeitsattesten ist unzulässig und unter Umständen nach § 278 StGB strafbar (Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse).
  • Als Text für das Attest empfiehlt sich beispielsweise die Formulierung: „Hiermit bestätige ich [Name des Arztes/Praxisstempel], dass es für [Name des Patienten, Geburtsdatum] aus medizinischen Gründen unzumutbar ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne der Corona-Verordnung des Landes [Bundesland] zu tragen.“
  • Die Ausstellung des Attests ist keine Kassenleistung. Hierauf sollten Ärzte ihre Patienten vorab stets hinweisen, um Missverständnisse zu vermeiden.

 

von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.